Die erste Woche..

Sonntag, 24.02.2019

Hallo ihr Lieben,

jetzt bin ich nun schon eine Woche in Moskau. Was ist alles passiert, wo steh ich gerade und wie geht es mir?

Die Untersuchungen wurden erfolgreich abgeschlossen und am kommenden Tag ausgewertet. Diesen Tag habe ich dafür genutzt, meine liebe Mama im Hotel zu besuchen… Was für ein aufregender Tag das war!

 

Nein, das ist nicht Mamas Hotel 😉

Aber es ist ein kleines Freizeit- und Kulturzentrum neben dem Hotel. Man kann einen Kerzenworkshop besuchen, es gibt ein Brotmuseum etc. Wir waren nur kurz drin, ich habe mir eine Matryoschka gekauft (den Hintergrund dessen erzähle ich euch ein paar Beiträge später. Sie soll meinen Heilungsprozess dokumentieren. Eine tolle Idee, die der wundervolle Mann hatte, der vor kurzem in mein Leben getreten ist. Ich werde euch ganz genau erzählen, was es mit der Matryoshka auf sich hat, wenn mein Stammzellengeburtstag aktuell ist).

 

Danach ging’s in die Mall, um Milch, Bastelmaterial und ne Telefonkarte zu kaufen. Da haben mich dann kurz mal die Kräfte verlassen und ich hab mal wieder gemerkt, wie heilfroh ich bin, dass die Behandlung jetzt losgeht…

Zurück im Hotel hatte ich einen super leckeren Coco Jambo Kakao mit Marshmellows und ein Stück Baiser! Ich liebe Baiser! Hatte ich ewig nicht mehr, total toll.
Und dann wollten wir eigentlich mit dem Bus zur Klinik zurück – um mal Routine reinzukriegen und nicht mehr mit dem Taxi zu fahren. Kostet hier zwar fast nix, aber Busfahren ist einfach sinnvoller für diesen langen Zeitraum. Dummerweise stimmte die Standortangabe der Haltestelle bei Google Maps nicht mit der Realität überein. Und so sind wir ewig lang durch die Gegend geirrt, begleitet vom russischen Eiswind. Nachdem wir schon viel zu weit umher gelaufen waren und uns die wenigen Russen, die ein paar Brocken Englisch verstanden, uns noch weiter weg geschickt hatten,wollten meine Beine dann das zweite Mal kapitulieren – und meine Laune hat sich entsprechend verabschiedet – wenn wir dann den Bus wenigstens noch gefunden hätten. Nix. Naja. Mit Ach und Krach ins Hotel zurück.
Dort haben wir in der Lobby dann Kristin aus Norwegen und ihren Mann getroffen, die beiden kenne ich von Facebook und wir hatten sie gestern schon kurz getroffen. Kristin hat ihre Behandlung zeitgleich mit meiner. Beide sind soooo sympathisch und voller guter Energie. Kristins Göttergatte hat uns erstmal zwei Gläser Champagner organisiert und die Welt war wieder in Ordnung! Auf das Leben, auf den Erfolg, auf Moskau und auf diesen schönen, aber anstrengenden Tag! 🥂
Puh… – Ich bin dann direkt mit dem Taxi zurück zur Klinik. Endlich Füße hoch!
Die Klinik ist staatlich überwacht, umzäunt, durch Schranken und Wachen gesichert. Di Kriminalität war bis in die 90er sehr hoch in Moskau, es gab viele Banden und Überfälle. Seit der Wachen, die übrigens lediglich präsent und zumindest nicht offensichtlich bewaffnet sind, hat sich die Situation heute entspannt und man fühlt sich einfach sehr sicher. Ich kam in die Klinik auch mehr oder weniger problemlos rein mit meinem Dokument in der Hand. Drinnen im Gelände fiel mir dann aber auf, dass es irgendwie keinen Haupteingang gibt… Es gibt an keinem der vielen Häuser einen offiziellen Eingang… nur verriegelte Seiteneingänge.  Ich wurde bisher nur unterirdisch übers Gelände geführt und so hatte ich keine Ahnung WO ich bin oder hin musste. Auf meinem Weg raus wurde ich heute unterirdisch zum Fahrer begleitet… Jetzt stand ich auf einem mir unbekannten dunklen Klinik Gelände ohne Licht oder Eingänge. Also wieder umher geirrt (hatte ich ja gerade erst, juchä und durchhalten liebe Beine 🙄). Oh man. Und dann hab ich eine Frau getroffen, der ich meinen auf kyrillisch geschriebenen Zettel „Hämatologie“ entgegen hielt. Sie brachte mich dann durch einen der Seiteneingänge zu einem Pfleger. Dieser war sehr freundlich und voll motiviert, mich aufzunehmen… Ich hab ihm dann erklärt, dass ich bereits aufgenommen bin! Ich will einfach nur in mein Zimmer. Ich solle bitte warten, die Aufnahme geht nicht sofort, man muss warten…. Ich BIN bereits aufgenommen !!
Ihr Lieben, was für ein Tag das war. Schlussendlich aber hatte ich mein Zimmer erreicht und lag ich  in meinem Bett.  🙏

Die Untersuchungsergebnisse am nächsten Tag waren positiv. Ich bin  kerngesund – außer der MS.  Der Behandlung steht also nichts im Wege. Ich wurde nochmals über die Risiken aufgeklärt. Und es wurde mir gesagt, dass die MS nicht geheilt, sondern gestoppt wird. Es ist ein Stopp auf unbestimmte Zeit – vielleicht 1 Monat, vielleicht 1 Jahr, vielleicht 10 Jahre… vielleicht 20 Jahre. Und ja, es habe auch Patienten gegeben, deren MS gar nicht wieder zurückkam, dies seien jedoch nur sehr wenige gewesen. Der Stopp ist das Ziel der Behandlung, eine Verbesserung der Symptome sind nicht selbstverständlich. Der Körper ist lediglich theoretisch sowie auch nicht bei allen Läsionen in der Lage, zu regenerieren. In meinem Gehirn habe ich 20 Läsionen, davon auch sogenannte „Black Holes“. Black Holes sind verkapselnde Vernarbungen, deren Inneres hohl ist. Dies wird sich nicht mehr reparieren, es ist und bleibt ein Loch. Aber alle diese 20 Läsionen sind ohnehin älter, vermutlich habe ich sie damals vor 10 Jahren bekommen. Wirklich bemerkbar haben sie sich nicht gemacht bzw. nur kurzzeitig. Anders sieht es mit meinen zahlreichen kleineren Läsionen in der BWS und HWS aus. Besonders die Läsion der HWS könne Probleme machen. Sie sei nicht besonders breit, aber lang. Wenn sie an Volumen zunehme, könne sie unter anderem zum Tod führen, z.B. eine Art Schlaganfall verursachen. Tatsächlich ist es ganz genau die Läsion, die mir von Beginn an Probleme macht hat und die sich für mich einfach intuitiv noch nie unbedenklich angefühlt hat. Ich denke, sie ist auch für meine Ausfälle und zunehmende Behinderung hauptverantwortlich. Diese Läsion gehöre zu denen, die sich theoretisch regenerieren könnte! Na das gibt mir doch Mut!

In dem Moment, wo die MS gestoppt ist, KANN der Körper sich erholen. Dies tut er aber nicht allein. Ich werde ganz gezielt und äußerst diszipliert trainieren müssen. Aktuell suche ich bereits nach einem Personal Trainer oder einem Physiotherpeuten, der quer denkt, kreativ denkt, ambitioniert ist und mein Ziel mit ganzem Eifer zu seinem macht. Ich weiss, dass der Stopp der MS nicht für immer, sondern für unbestimmte Zeit ist – ich möchte, dass die unbestimmte Zeit „für immer“ ist. Ich suche nicht nach Übungen, die meine Lebensqulität erhalten, mein Ziel ist es, die MS aus meinem Leben zu entlassen. Ich möchte mich mit dieser Krankheit nicht arrangieren, ich möchte auch keine Kompromisse mit ihr eingehen. Und ich möchte schon gar nicht mein Leben nach der MS ausrichten. Ich werde kämpfen wie eine Verrückte und mein Ziel ist es, zu gewinnen. Deshalb bin ich hier in Moskau. Ich versuche das bestmögliche zu erreichen. Und deshalb suche ich einen Trainer oder Therapeuten, der knallhart mit mir zusammen kämpft. Das wird die dritte Phase sein.

Aber zurück zu Phase zwei 🙂 Nachdem ich den Vertrag am Donnerstag unterzeichnet hatte, ging es Freitag direkt mit der Mobilisierung der Stammzellen los. Morgens erhalte ich eine Kortison-Infusion. Am Abend um 23 Uhr sowie nachts um 3 Uhr geben sie mir ein G-CSF (Granulozytenkoloniestimulierender Faktor) Injektion, um die Stammzellen anzuregen das Knochenmark zu verlassen und ins Blut überzugehen. Ziel ist es, dass diese dann am Dienstag aus dem Blut abgefischt und eingefroren werden, bevor das Immunsystem dann mittels der Chemotherapie komplett zerstört wird.

Am Freitag, den 22.02.2019 hat meine Behandlung also begonnen. Nebenwirkungen merke ich bisher keine. Hin und wieder zieht es im Knochen, aber das könnte auch damit zusammen hängen, dass ich viel im Bett liege…

Mein Zimmer habe ich mir eueren lieben Glücksbringern, Basteleien und Segenskaren verschönert… Hier ein paar Eindrücke:

Freitag Nachmittag hatte ich den Tag frei und habe Alexey gefragt, ob er mit meiner lieben Mama und mir eine kleine entspannte Sight-Seeing-Tour macht. Alexey ist bei den Patienten hier sehr bekannt und wird via Mundpropaganda empfohlen. Er weiss warum die Menschen hier sind, stellt sich auf die Patienten ein, weiß, dass wir manchmal müde sind, ohne dass es ersichtlich wäre – er ist einfach sehr flexibel. Also hat er zunächst mich vom Hospital und dann meine Mama vom Vega Hotel abgeholt und wir sind losgedüst… ab in den Moskauer Stau. Aber sogar im Stau wusste Alexey so viele interessante Dinge zu erzählen; nicht nur typische Fakten, auch gesellschaftliche Gegebenheiten, was wirlich interessant war.

Unser erster Stopp führte uns ins Space-Museum, das hatte ich mit gewünscht. Wer mich kennt weiss, dass ich das weite, faszinierende Universum liebe, in dem wir einfach mitten drin leben und lieben und alles möglich machen können, was wir wollen – denn wir sind ja schließlich im Universum! Kling schräg, entspricht aber nunmal der Tatsache. 😉

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wir waren auch im Simulator und haben ein paar Missionen im Weltall erfüllt.

 

Wirlich lustig war, dass ich am Ende wesentlich weniger Punkte erreicht hatte, als der Sitz auf dem gar niemand saß 🙂 Faszinierend! Oder Quantenphysik? 😉

 

 

 

 

Anschließend waren wir in einem wirlich hübschen ukrainsichen Restaurant zum Dinner. Das Essen war großartig! Und auch das Ambiente hat gestimmt.

 

Der Winter in Moskau ist angeblich sehr mild dieses Jahr… Also wir verbrachten nur einige Sekunden auf dem Roten Platz und vor dem Kreml… Alexey wollte wissen, ob wir frieren. Ich sag mal so: Frieren… hm – mein Gesicht hatte einfach direkt Schmerzen. Diese Phase „Frieren“ hatte ich hier bisher noch gar nicht. Ehrlich, es tut direkt weh. 🙂

 

Anschließend waren wir im berühmten GUM, dem ältesten Einkaufszentrum der Welt.

Viel Zeit blieb uns leider nicht, da ich zurück in die Klinik musste. Aber ich habe es nicht verpasst, mir russischen Vodka zu kaufen – ich denke, das muss sein! In Deutschland möchte ich nach gegebener Zeit auf diese Reise anstoßen – und zwar auf russischen Art!

Nun ja… es war ein wundervoller Tag! Wir hatten eine Menge Spaß und Alexey ist so offen und unkompliziert, freundlich und lustig – ich habe diesen Tag wirklich genossen. Er hat gesagt, eine solche medizinische Behandlung bedarf guter und positiver Energie – und die hat er mir an durch diesen Tag absolut vermittelt. Auf leisen Sohlen und mit einem breiten zufriendenen Lächeln, bin ich in die Klinik zurück. Ich wurde freundlich begrüßt und ein paar Minuten später erhielt ich meine erste Injektion zur Stammzellenmobilisierung. Es geht nun los..

Gestern und heute habe ich viel inne gehalten und die letzten Wochen Revue passieren lassen. Es ist einfach großartig was hier gerade passiert und unter wie vielen guten Sternen das alles steht. Ich fühle mich sooo glücklich!

Morgen früh werden mir meine Haare abrasiert. Das ist okay, denn sie werden sowieso nach der Behandlung ausfallen. Es gehört für mich zum Prozess dazu, denn ich möchte rundum erneuern. Im Anschluss bekomme ich dann den Zentralen Venenkatether in die große Halsvene gelegt, der mir einen dicken Schlauch bis in die Vorhofkammer des Herzens schiebt. Dieser Zugang ermöglicht das Abfischen der Stammzellen. Habe ich von meiner Nadelangst erzählt? Ich denke das morgen ist die creme da la creme einer Nadel…

Tatsächlich ist dieser Moment der vor dem ich seit Entschluss zu dieser Behandlung am meisten Angst habe. Alles andere bekomme ich in den Griff… aber dieser ZVK versetzt mich in Angst, die ich nur schwer greifen und steuern kann. Aber… der Doktor hat mir die doppelte Menge lokale Anästhesie und die doppelte Dosis Beruhigungmittel versprochen… damit werde ich mich dem dann mal tapfer zu stellen versuchen.

Ich schicke euch liebe Grüße in den Frühling… Wenn ich zurück komme, wird alles neu leben und erblühen. Das ist doch die richtige Energie, um sich vom Leben neu küssen zu lassen. Ich freue mich darauf! Freude beschreibt es kaum. Ich möchte jedem einzelnen von euch von ganzem tiefen Herzen danken, dass ich hier sein darf, dass ich mich meinen Ängsten stellen darf, dass ich kämpfen darf! Vielen, vielen Dank!! Es ist mein großes, tiefes HERZENSDANKE!! Für was könnte man dankbarer sein als für die Chance für sein Leben kämpfen zu dürfen. Und der Kampf hat begonnen… morgen mit dem Venenkatether stelle ich mich einer großen Angst – dabei nehme ich eure Segenswünsche, eure guten Gedanken, eure zuversichtlichen, anteilnehmenden Blicke, eure motivierenden Worte und teilweise sehr offenen Gespräche, eure herzlichen Umarmungen (davon bekam ich so viele!), ja einfach all diese unzähligen und so wertvollen Begegnungen nehme ich morgen in diesem Moment zur Hilfe! Atme ein paar Mal diese Erinnerungen ein und stelle mich diesem Moment. Dafür vielen, vielen Dank!

Es ist so unfassbar viel Positives und Liebevolles auf mich eingebrochen. Ich habe das alles aufgesaugt und es begleitet mich hier in Moskau. HERZENSDANK!

 

 

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